In meiner veganen Laufbahn habe ich keine Frage öfter gehört als diese. Die Annahme, dass pflanzliche Nahrungsaufnahme gleich Proteindefizit bedeutet, verängstigt viele Menschen. Sie ist tief in unserer Gesellschaft verankert. Wir denken an Fleisch und müssen automatisch an Protein und im zweiten Schritt an Muskeln denken. Daher herrscht eine große Verunsicherung, wenn sich vorgestellt werden soll, dass Fleisch und andere tierische Produkte aus der Ernährung ausgeschlossen werden sollen.
Es kursieren schon lange scheinbar feststehende Fakten darüber, dass mit einer veganen Ernährung nicht genug oder nur minderwertiges Protein aufgenommen werden kann. Demzufolge gelten VeganerInnen als schwächer und sollen weniger Leistung beim Sport erbringen können. Zudem soll pflanzliches Protein vom Körper schlechter aufgenommen werden.
Diese Aussagen werden oft in den Raum geworfen, ohne dass sich wirklich darüber informiert wurde, was Protein eigentlich ist, wo es herkommt, wie viel der Mensch eigentlich braucht und vor allem: wie viel und welches Protein in der eigenen Nahrung eigentlich drinsteckt.
Was sind Proteine und wie viel benötige ich?
Proteine bestehen aus Aminosäuren. Acht dieser Aminosäuren können vom Körper nicht selbst gebildet werden. Diese unentbehrlichen Aminosäuren müssen wir daher durch unsere Nahrung zuführen. Daher ist nicht das Protein an sich von Bedeutung, sondern die genannten Aminosäuren. Diese Aminosäuren besitzen individuelle biologische Wertigkeiten. Diese sagen aus, wie effizient die enthaltenen Aminosäuren in körpereigenes Protein umgewandelt werden können.
Die DGE und andere Gesundheitsorganisationen empfehlen für einen durchschnittlichen Erwachsenen 0,8 g Protein pro kg Körpergewicht. Darin ist bereits ein Sicherheitszuschlag eingerechnet, womit diese Empfehlung als optimale Zufuhr angesehen werden kann.
Diese Empfehlung kann bereits mit pflanzlichen Lebensmitteln gedeckt werden, bevor die tägliche Kalorienzufuhr erreicht wird. Das bedeutet: Man muss nicht Berge von Gemüse essen, damit genug Protein aufgenommen werden kann.
Wichtig ist dabei, wie die essentiellen Aminosäuren kombiniert werden. Belegt ist, dass alle notwendigen Aminosäuren ohne große Planung, bei einfacher Kombination von Lebensmitteln in ausreichender Menge aufgenommen werden können.
Pflanzliche Lebensmittel, die viel Protein enthalten:
Kürbiskerne, Hanfsamen (geschält), Erdnüsse, Leinsamen, Sonnenblumenkerne, Cashewkerne, Mandeln, Seitan, Sojabohnen, Tempeh, Tofu, Haferflocken, Linsen, Kichererbsen und Vollkornbrot haben pro 100 g einen Proteingehalt zwischen 10-50 g in absteigender Reihenfolge. Viele weitere Lebensmittel mit einem geringeren Proteingehalt summieren sich in Kombination zu einem Proteingehalt, der ohne Mühe bereits nach zwei Mahlzeiten gedeckt werden kann.
Solange Vollkorngetreide und Hülsenfrüchte mit wenigen Nüssen und Samen (auch hier nicht aufgeführte) verzehrt werden, ist die Proteinzufuhr mit allen essentiellen Aminosäuren hochwertig abgedeckt.
Doch können diese Aminosäuren genauso gut aufgenommen werden wie die Aminosäuren des Tieres? Und welche Proteine sind gesünder?
Wenn wir über Proteinlieferanten reden, beachten wir dabei leider nur den Proteingehalt. Doch der sollte nicht ausschlaggebend sein, wenn es um die Entscheidung geht, ein Lebensmittel zu verzehren oder nicht. In pflanzlichen Lebensmitteln sind mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Vitamine, sekundäre Pflanzenstoffe, Ballaststoffe und andere Inhaltsstoffe enthalten, die einen gesundheitlichen Vorteil bringen. Schaut man sich das Nährstoffspektrum der einzelnen Lebensmittel an, so ist zu erkennen, dass die Zusammensetzung der Nährstoffe eine Rolle spielt. Folglich kann die Betrachtung der Anteile des Fettes, der Kohlenhydrate und des Proteins darauf schließen, dass pflanzliche Proteine in dieser Betrachtung verhältnismäßig einen höheren Proteinanteil besitzen oder eine bessere Nährstoffverteilung haben.
Das bedeutet konkret: Man kann aus pflanzlichen Lebensmitteln mehr Protein aufnehmen, bei gleichzeitig niedrigerer Fett- und Kohlenhydrataufnahme, im Gegensatz zu tierischen Lebensmitteln. Es werden weniger Kalorien und im Verhältnis gleich viel Protein aufgenommen.
Tierische Lebensmittel liefern im Durchschnitt bei gleicher Proteindichte mehr Fett und Kohlenhydrate. Es werden mehr Kalorien, aber im Verhältnis weniger Protein aufgenommen. Denn Fett hat pro Gramm doppelt so viel Kalorien als Kohlenhydrate und Proteine.
Somit ist entgegen aller Behauptungen ersichtlich, dass von tierischen Lebensmitteln eine größere Menge Kalorien aufgenommen werden muss, um den gleichen Proteingehalt zu erlangen. Durch den niedrigeren Kaloriengehalt in pflanzlichen Lebensmitteln kann davon mehr verzehrt werden, bis dieselbe Kaloriendichte erreicht ist. Folglich kann auch mehr Protein aufgenommen werden.
Hinzu kommt, dass die Kombination von Hülsenfrüchten und Getreide mit Samen und Nüssen dazu führt, dass die einzelnen essenziellen Aminosäuren sich ausgleichen und die biologische Wertigkeit erhöht werden kann. Alle pflanzlichen Lebensmittel enthalten alle essenziellen Aminosäuren. Einige aber in nur geringer Ausprägung. Daher ist zu beachten, dass Lebensmittel kombiniert werden. So kann die biologische Wertigkeit auf 100% oder höher steigen. Diese Kombination muss nicht in einer Mahlzeit erfolgen. Es reicht, wenn Hülsenfrüchte mit Getreide oder anderen Lebensmitteln über den Tag verteilt gegessen werden. Diese Kombination von Lebensmitteln ist bei den meisten Rezepten sowieso gegeben, da wir niemals nur Brot oder nur Reis essen würden.
Es ist schlichtweg nicht möglich, einen Proteinmangel zu entwickeln, wenn man den eigenen individuellen Kalorienbedarf deckt. Das muss nicht über schwierige Rechnungen vollzogen werden. Es reicht, auf den eigenen Körper zu hören und instinktiv zu essen, wenn Hunger besteht, oder sich feste Mahlzeiten einzuplanen.
Hast du schon mal gehört, dass jemand in deiner Familie oder in deinem Bekanntenkreis an „Kwashiorkor“ erkrankt ist? Ich auch nicht!
Das ist der krankhafte Mangel an Protein, der in der westlichen Welt nicht entsteht.
Vielmehr hören wir immer wieder von Zivilisationskrankheiten, die mit den Inhalten von tierischen Produkten in Zusammenhang gebracht werden. Bei dem Konsum von tierischen Produkten werden die Kalorien vor allem über Fett aufgenommen. Bei pflanzlichen Lebensmitteln mehr über Kohlenhydrate. Der Kalorienbedarf kann über beide Ernährungsformen ohne Probleme gedeckt werden. In tierischen Produkten sind außer Protein jedoch: Transfettsäuren, gesättigte Fettsäuren, Hormone, Cholesterol und Antibiotika enthalten, die allesamt ungesund sind.
Sport
Beim Sport haben wir das Ziel, Muskeln aufzubauen und Fett zu reduzieren. Dabei können tierische Produkte sogar hinderlich sein. Natürlich können auch mit tierischem Protein Höchstleistungen erbracht werden. Es liegen jedoch Erfahrungsberichte vor, dass eine pflanzenbasierte Ernährung Vorteile im Sport bringen kann.
Es kostet den Körper viel Energie, Fleisch und tierische Lebensmittel zu verdauen, die keinerlei Ballaststoffe enthalten und lange im Körper verweilen, da der Abbauprozess sehr aufwendig ist. Außerdem sind Kohlenhydrate, also Zucker, aus pflanzlichen Lebensmitteln sofort verfügbar und können zur Leistungssteigerung beitragen. Der Säure-Basen-Haushalt ist bei einer pflanzlichen Ernährung aufgrund des Ausschlusses der sauren Lebensmitteln im Gleichgewicht. Das bedeutet, dass der Muskel nicht so schnell übersäuert und du länger durchhalten kannst. Auch die im Training produzierte Säure kann dann schneller abgebaut werden und die Regenerationsphase ist kürzer. Die Regeneration kann auch beschleunigt werden, da mehr Antioxidantien und sekundäre Pflanzenstoffe durch eine vegane Ernährung aufgenommen werden. Tierische Proteine sind in entzündliche Moleküle, wie Endotoxine, verpackt. Sie verändern die Bakterien im Darm und wirken der Regeneration entgegen, indem Entzündungsprozesse entstehen. Entzündungen verlangsamen den Blutfluss, Muskelkater wird verstärkt und die Erholung wird verzögert.
Zudem beeinflusst tierisches, fettiges Protein die Endothelzellen, die für den Blutstrom und somit für die Versorgung der Organe zuständig sind. Sie verengen sich und die Versorgung verringert sich. Pflanzliche Proteine haben genau die entgegengesetzte Funktion: Sie verbessern den Blutfluss, da sich die Endothelzellen sogar vergrößern. Denn sie sind in Mineralien, Antioxidantien und Vitaminen verpackt, die Entzündungen lindern.
ALLE Proteine stammen ursprünglich von Pflanzen. Sie spalten Stickstoff aus der Luft und integrieren sie in Aminosäuren. Das Protein, das über tierische Produkte aufgenommen wird, ist somit recyceltes Protein. Der/Die durchschnittliche MischköstlerIn nimmt doppelt so viel Protein als empfohlen und zu viel Cholesterol und gesättigte Fettsäuren zu sich. Dafür werden andere wichtige Nährstoffe wie Ballaststoffe, Folat, Magnesium oder Vitamin C zu wenig aufgenommen. VeganerInnen müssen dafür wiederum auf andere Nährstoffe wie B12 oder Zink achten. Damit soll zum Ausdruck kommen, dass man sich bei jeder Ernährung um die Zufuhr und den Inhalt der eigenen Produkte Gedanken machen sollte. In keiner Ernährungsform ist Protein jedoch ein kritischer Nährstoff.
Bei SportlerInnen im Hochleistungsbereich muss die Proteinaufnahme erhöht und an das individuelle Training und das Belastungsprofil angepasst werden. Die Proteinaufnahme beträgt je nach Sportart zwischen 1,2-1,8 g Protein pro kg Körpergewicht, wenn Muskeln aufgebaut werden sollen. Kohlenhydrate stellen für das Training die bedeutendste Energiequelle dar.
Bei sehr intensivem Training sollte auf die Energiedichte der Lebensmittel geachtet werden. Eine hohe Energiedichte kann über Nüsse und Nussmuse, gute Öle (Lein-, Hanf-, Walnussöl), Trockenfrüchte, Avocado und jede Art von Samen integriert werden. Öle, die mit EPA und DHA-Fettsäuren angereichert sind, können Entzündungsvorgängen entgegenwirken.
Pflanzliche Proteine wirken sich auf die Muskelkraft, Muskelmasse und Muskelgesundheit nicht negativ aus. Daher gibt es zu tierischen Proteinen keine Unterschiede in der Muskelentwicklung. Eine Kreatinsupplementierung in Form von Shakes oder Ähnlichem kann trotzdem sinnvoll sein, um die Muskelspeicher zu erhöhen.
Viele LeistungssportlerInnen ernähren sich mittlerweile vegan und erzielen damit Höchstleistungen. Natürlich muss bei solch einem enormen Energieverbrauch mehr Protein zugenommen werden. Da aber auch mehr Kalorien gebraucht werden, ist der Muskelaufbau und Erhalt sowie die Leistungssteigerung ohne Probleme mit einer pflanzlichen Ernährung vereinbar. Denn jede Proteinzufuhr stimuliert die Muskelproteinbiosynthese und somit das Wachstum der Muskeln, sofern sie zuvor durch Training einem Reiz unterlagen.
Es sollte allerdings klar sein, dass die Proteinzufuhr in jeder Ernährung über hochwertige Proteine zugeführt werden sollte. Da hilft es nicht, sich nur von Kuhmilchshakes, Quark und Hühnchen mit Reis zu ernähren, genauso wenig, wie wenn nur Gemüse gegessen wird. Hochwertige Proteinquellen, wie oben aufgelistet, sind hauptsächlich pflanzliche Lebensmittel, die in jede Ernährung integriert werden sollten!
Die Aminosäure Lysin ist relevant für den Muskelaufbau und die Wundheilung im menschlichen Körper. Die WHO empfiehlt 37 mg pro kg Körpergewicht. Das sind bei einem durchschnittlichen Erwachsenen 2500 mg pro Tag. Dafür würden 250 g Erbsen oder Mungbohnen reichen.
Der Bedarf könnte auch über 175 g Linsen mit 250 g Grünkohl und 35 g Cashewnüssen gedeckt werden. Oder über 175 g Kichererbsen mit 150 g Pilzen und Spinat und ein paar Sonnenblumenkernen. Buchweizen, Quinoa, Amaranth, Haferflocken und Sojaprodukte eignen sich ausgezeichnet für eine qualitativ hochwertige Aufnahme von Lysin.
Diese Proteine werden vom Körper genauso gut aufgenommen und können durch das Keimen von Hülsenfrüchten erhöht werden.
Solltest du anfangs Unsicherheiten haben, ob du, gerade beim Sport, nicht genug Aminosäuren aufnimmst, kannst du pflanzliche Proteinpulver einsetzen, die dir zu einer erhöhten Proteinversorgung verhelfen. Mittlerweile gibt es viele pflanzliche Proteinpulver auf Soja-, Süßlupinen-, Hanf-, Erbsen-, Reis-, Kürbis- und Sonnenblumenbasis.
Fazit
Wir sollten uns bewusst machen, dass die Tiere, über die Menschen ihr Protein bekommen, ausnahmslos Pflanzenfresser sind. Sie erhalten ihr Protein durch Pflanzen. Die stärksten Tiere der Welt sind Pflanzenfresser. Denen wir im Übrigen auf vielen physiologischen Ebenen ähnlich sind. Also könnten wir die Pflanzen auch direkt essen und müssten uns das Protein nicht erst über Tiere holen, nur weil wir dem Trugschluss unterliegen, das tote Muskelgewebe darin könnte uns beim eigenen Muskelaufbau besser helfen. Um Kraft zu haben und Muskeln aufzubauen, ist tierisches Protein nicht nötig!
Bei einer abwechslungsreichen und kalorienbedarfsdeckenden Ernährung, auf die jeder Mensch achten sollte, ist es in unseren Lebensverhältnissen unmöglich, einen Proteinmangel zu erleiden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob man sich mischköstlich oder pflanzlich ernährt, sondern darauf, dass bei beiden Ernährungsweisen auf eine vielfältige Auswahl von hochwertigen Proteinen zurückgegriffen wird. Gerade bei intensivem Sport sollte jeder darauf achten, was er zu sich nimmt.
Sofern bei einer ausgewogenen veganen Ernährung die täglichen Kalorien gedeckt sind, ist auch der Proteinbedarf gedeckt und der Sättigungsgrad mehr als bedient. Eine vegane Ernährung kann den Proteinbedarf in jeder Lebensphase und bei jeder Sportart allumfassend decken und Vorteile bringen.
Es ist enorm wichtig, das große Ganze im Blick zu haben und alle Nährstoffe in einem Lebensmittel zu betrachten. Nur weil ein Produkt äußerst viel Protein hat, ist es damit nicht gleich gesund oder förderlich. Es kommt darauf an, wie unsere Proteine verpackt sind.
Wir sollten bei der Vielfalt an Lebensmitteln über den Tellerrand schauen, uns von Vorurteilen lösen, pflanzliche Proteinquellen probieren und uns selbst überzeugen!
Filmempfehlungen:
The Game Changer
Gabel statt Skalpell
What the Health