In Deutschland leben (Stand 2021) 1,3 Millionen Menschen vegan. Darunter befinden sich mit einem Anteil von 250.000 vergleichsweise wenige männliche Veganer.
Wir alle kennen Sprüche wie: „Ein echter Mann braucht Fleisch“ „Von Fleisch wirst du groß und stark“ „Fleisch essen ist männlich“.
Fleisch gilt als das „Lebensmittel“ schlechthin, wenn es um Kraft und Stärke geht. Es wird als DIE Nahrung der Männer, die es im Gegensatz zu Frauen in großen Mengen benötigen, angesehen.
Doch woher kommen diese Annahmen? Sind sie wahr und zeitgemäß?
Die Werbung, Zeitschriften und andere soziale Medien lassen den Eindruck entstehen, das männliche Geschlecht müsse unweigerlich Fleisch essen. Es wird in Werbespots und Kampagnen als essentielles Nahrungsmittel vermittelt.
Die Gesellschaft springt darauf an. Männern wird zugeschrieben, dass sie Fleisch zubereiten können. Sie nehmen diese Verbindung als Anlass, sich über Fleisch zu definieren. Sie besitzen die Macht über andere Lebewesen, die schwächer als sie sind. Es vermittelt ein gutes Gefühl der Stärke und der Überlegenheit, das ihnen anerzogen wird.
Der Fleischkonsum wird heutzutage immer noch mit dem Jagen von damals verglichen. Es stimmt, dass gejagt wurde. Doch taten unsere Vorfahren das, um stark zu sein? Um männlich zu wirken? Oder um ihre Kraft zu demonstrieren? Nein, sondern um zu überleben!
Diese Rechtfertigung baut auf einem Traditionsfehlschluss auf. Nur weil etwas schon immer so gemacht wurde, kann das nicht damit gleichgesetzt werden, dass selbiges auch gerechtfertigt ist und somit Jahrhunderte lang nicht mehr hinterfragt werden muss. Tradition bedeutet nicht, dass sie uns die Erlaubnis gibt, Fehler über Generationen zu wiederholen. Viele Traditionen wurden aus diesem Hintergrund verboten und werden (zumindest sollte das so sein) nicht mehr vollzogen. Doch aus diesem Fehlschluss wird das Ablehnen des Fleisch essens, vor allem als Mann, als falsch oder drastisch angesehen.
Es wird sich auf Umstände berufen, die nicht mehr zeitgemäß sind. Wir leben nicht mehr im Wald, können Nahrungsmittel anpflanzen, müssen nicht mehr tagelang warten, bis wir etwas essen können, müssen unsere Nahrung nicht mehr roh verzehren, werden nicht mehr nur 30 Jahre alt und können heutzutage entscheiden, welche Produkte wir zu uns nehmen.
Wieso wird der Aspekt des Jagens aufrechterhalten, aber alle anderen Neuerungen und Veränderungen werden dabei nicht mit eingeschlossen?
Es war auch noch nicht immer so, dass Milliarden Tiere in Zuchtanlagen eingesperrt sind und am Fließband getötet werden. Diese scheinbare Normalität hat sich erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt. So könnte auf derselben Ebene argumentiert werden, dass die Massentierhaltung und der tägliche Fleischkonsum nicht der menschlichen Tradition und Geschichte entspringen und daher falsch sind. Trotzdem wird diese neue Entwicklung mit dem Jagen von früher in Zusammenhang gebracht, um das Tiere essen zu rechtfertigen. Das macht keinen Sinn.
Die Jagd war ein Bruchteil der Nahrungsaufnahme unserer Vorfahren. Wenn sie Glück hatten, erlegten sie ein Tier im Monat. Zudem jagten auch die Frauen! Man musste früher in großen Gruppen jagen, damit ein Tier erlegt werden konnte. Das waren aufwendige Hetzjagden, bei denen alle mithelfen mussten. Diese komplizierten Jagden waren eine Seltenheit. Das Verhältnis der Mengenaufnahme müsste eher als „Sammler und Jäger“ bezeichnet werden, und nicht andersherum. Denn der Anteil der Nahrung durch Fleisch belief sich nur auf wenige Prozente.
Doch auch wenn früher auf die Jagd gegangen wurde, um das Überleben des Stammes zu sichern, kann nicht das davon übrig gebliebene bloße Essen der Tiere als männlich tituliert werden. Wohl eher muss die Bereitschaft, die Familie ernähren zu wollen, als Stärke und Kraftakt angesehen werden. Diese Bereitschaft erwiesen beide Geschlechter und wird heutzutage durch den Beruf, das Gehalt und den Gang in den Supermarkt definiert und nicht dadurch, wie viel Fleisch nach Hause gebracht wird.
Geschlechterrollen und Vorurteile haben im Laufe der Jahre jedoch zu Fehlinterpretationen geführt. Die soziale Stellung des „starken Mannes“ konnte mit dem Bezug zu Fleisch unterstrichen werden. Diese Verknüpfung besteht bis heute. Indem Fleisch mit Männlichkeit assoziiert wird und das Gegenteil von schwach, mild oder leicht darstellen soll, werden Frauen indirekt noch immer als schwächeres, Salat essendes, niedrigeres Geschlecht dargestellt. Der Mann steht als überlegen dar, wenn er „kraftbringendes“ Fleisch isst.
Sollte die Gleichberechtigung nicht auch beim Essen endlich ankommen?
Wenn nun heutzutage die Jagd wegfällt, und somit auch das Töten der Tiere, und in Deutschland kein Mann mehr für das Überleben seiner Familie solch einen Kraftakt vollbringen muss, stellt sich die Frage, ob der bloße Verzehr von Tieren mit den Worten „Kraft“ oder „Stärke“ in Verbindung gebracht werden kann oder sollte.
Ist der Weg in den Supermarkt, das Öffnen der Tiefkühltruhe, das Aufreißen der Plastikfolie und das Anbraten von Teilen eines Tieres wirklich männlich? Ich denke wohl eher nicht!
Kaum ein Mann dieser Generation hat selbst schon einmal ein Tier mit bloßen Händen gefangen, erlegt, gehäutet und auseinandergenommen. Das verarbeitete, realitätsferne Tierstück auf den Grill oder in die Pfanne zu werfen hat nichts mit der Jagd und auch nichts mit Männlichkeit zu tun. Ein Mammut in freier Wildbahn hat sich früher gewehrt und der Tod dieses Tieres konnte als Triumpf oder Sieg über den Kampf eingeordnet werden.
Doch welches Tier in Gefangenschaft hat heutzutage noch eine Chance gegen uns? Auch wenn sie sich wehren, ist ihr Kampf schon längst verloren.
Sollten wir uns nicht ebenbürtige Gegner suchen oder stärkere Gegner wie die Fleischindustrie und versuchen, gegen diese anzukommen?
Unsere Gesellschaft und unsere Erziehung vermitteln uns den Eindruck, als müssten Männer den Anblick eines Mordvorganges an Tieren ertragen können. Es gilt als mutig, wenn man sein Mitgefühl oder seine Empathie unterdrückt und jeder noch so schlimmen Situation ins Auge sehen kann.
Ist es aber nicht eigentlich viel mutiger, wenn man(n) die Stärke besitzt, sich von der breiten Masse abzuheben, sich mit seiner Ernährung kritisch auseinanderzusetzen, sie reflektiert und kräftig genug ist, dass für den eigenen Verzehr tote Tiere gar nicht nötig sind?
Ist es nicht ein Zeichen von Stärke, wenn man für sich selbst sorgen kann, ohne den Tod anderer Lebewesen auf dem Gewissen zu haben?
Sollte es nicht normal werden, dass Mitgefühl und Empathie von Männern auch gezeigt werden darf? Männer dürfen Gefühle zeigen und das auch für Tiere! Wieso denn auch nicht?
Es beweist Charakter, zu seinen Gefühlen zu stehen und auch dazu zu stehen, sich nicht auf Schwächere zu stürzen, nur weil man es kann.
Ob männlich hin oder her. Es sollte toleriert werden, wenn auch Männer kein totes Tier auf den Grill werfen wollen oder ein Gericht essen, indem kein Fleisch drin ist oder sogar einen Salat essen. Die Geschlechtertrennung in dieser Hinsicht sollte aufgehoben werden. Es ist als menschlich anzusehen, wenn man sich für die Gleichberechtigung fühlender, denkender Tiere und deren Recht auf Leben einsetzt.
Die Gewalt, die bei der Jagd an Tieren ausgeübt wurde, weil es die Menschen nicht besser wussten oder darauf angewiesen waren, sollte nicht als Rechtfertigung genommen werden, diese heutzutage noch zu unterstützen, zumal kaum einer diese Gewalt selbst anwendet, sondern im Verborgenen für sich vollziehen lässt.
Es hat rein gar nichts mit Männlichkeit zu tun, dass für unschuldige Leidenswege von wehrlosen Lebewesen an der Kasse bezahlt wird.
Männer sollten nicht als unmännlich, weich, ängstlich, schwach, „Weichei“ oder „Memme“ bezeichnet werden, wenn sie sich den heutigen Umständen anpassen und das Ausmaß der Ausbeutung an Tieren nicht tolerieren und damit ihre „Stärke“ einsetzen, um Schwächere zu schützen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die herrschenden Ansichten dazu führen, dass bei dem männlichen Geschlecht eine Verunsicherung vorherrscht, die sich darin äußert, bei dem Verzicht von tierischen Produkten einen Ausschluss der zugehörigen „männlichen“ Gruppe zu erfahren.
Zum Thema Schwäche im körperlichen Sinne ist zu sagen, dass die mehr als ausreichende Proteinbeschaffung über pflanzliche Lebensmittel längst bestätigt ist. Viele Hochleistungssportler und Bodybuilder leben vegan und haben keinerlei Probleme, Muskeln aufzubauen. Mehr dazu hier.
Die pflanzliche Ernährung kann paradoxerweise das Risiko für koronare Herzerkrankungen vermindern und somit auch das Risiko für Erektionsstörungen mindern. Es ist außerdem nachgewiesen worden, dass der Testosterongehalt von männlichen Veganern höher ist als bei männlichen Fleischessern. Das Fleisch als ein Stück Lebenskraft anzusehen, kommt aus der Zeit, in der Fleisch essen etwas Besonderes, Seltenes war. Es wurde sich gefreut, sich ein Luxusprodukt wie Fleisch leisten zu können. Es hat nichts damit zu tun, dass wir nur durch Fleisch überleben oder Kraft bekommen. Wie kann ein Tier, dass selbst nur wenige Wochen gemästet, durch Medikamente am Leben erhalten wurde und ein qualvolles Leben mit abschließender Todesangst erlitt, die im Fleisch nachgewiesen werden kann, noch Kraft weitergeben?
Auch wenn es uns die Werbeindustrie glauben lassen möchte, Fleisch essen kann aus keinem vernünftigen Grund mit dem männlichen Geschlecht gerechtfertigt werden.
Dahinter verstecken sich Gewohnheit, Unsicherheit, die Angst vor etwas Neuem und viele negative Konnotationen. Es sollte der Mut erwiesen werden, sich über die eigene Komfortzone zu begeben und damit Leben zu retten. Es zeugt von Stärke, sich nicht über die äußeren und veralteten Einstellungen zu definieren und sich von „starken“ Typen nichts sagen zu lassen.
Der gesellschaftliche Druck ist enorm, dennoch lohnt es sich, diesen Weg zu gehen. Dieser könnte zeitgemäß vielmehr als menschlicher Überlebenssinn und einzige schlüssige Konsequenz für die Zukunft angesehen werden. Beim Fleisch essen gaukeln wir uns vor, dass wir uns nicht weiterentwickelt haben. Doch wir haben uns weiterentwickelt und das ist auch gut so. Wenn in allen Lebensbereichen immer noch veraltete Zuschreibungen an der Tagesordnung wären, auf die Art und Weise, wie das Fleisch essen in Verbindung mit der Männlichkeit gebracht wird, würden viele fürchterliche Praktiken noch immer bestehen!
Lasst uns von den Rollenbildern abkommen und zeigen wir unsere Stärke und Intelligenz, indem wir uns um Schwächere kümmern und eine Veränderung herbeiführen, indem wir das System nicht weiter unterstützen. Die Frage sollte nicht sein, ob etwas männlich ist, sondern ob es richtig ist.